Wie alles anfing…

…und was uns antreibt, weiterzumachen

 

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(Sarah) Wie bei jedem Projekt, das nun so sehr da ist, dass man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es mal anders war, muss man auch bei „Aachen hat Ausdauer!“ staunen, wenn man darüber nachdenkt, wie alles anfing.

Ich bin mir sicher, jeder von uns hat seine eigene Art, die Geschichte zu erzählen. Meine eigene kenne ich natürlich am besten, und weil ich diejenige bin, die das Ganze aufschreibt, erzähle ich meine Version. Das bedeutet, dass sie außer subjektiv auch noch relativ lang ist. Aber dafür macht sie – hoffentlich – auch für neu Hinzukommende verständlich, was eigentlich hinter uns steckt.

Die Idee zu AhA stammt aus dem Frühjahr 2013. Ich war gerade nach einem Jahr im Ausland voller neuer Ideen wieder in Aachen angekommen und ein wenig bestürzt, wie schnell man den Studienalltag wieder normal findet.

Vor Lampedusa gab es auch damals schon regelmäßig Tote, aber sie standen selten in den Zeitungen. Und in Syrien war auch damals schon Bürgerkrieg, aber noch nicht so lange, dass sich Europa mit nennenswerten Flüchtlingszahlen befassen musste.

Mich hatte ein wenig die Leidenschaft für Ausdauersport gepackt, als mich eine Nachricht von der australischen Umweltorganisation, für die ich eine Weile gearbeitet hatte, erreichte: In einem westaustralischen Naturschutzgebiet würde keine Gasraffinerie gebaut werden. Dafür hatten wir lange gekämpft.

Das war wahrscheinlich der Zeitpunkt, zu dem ich das erste Mal dachte: „Mensch, ich kann ja wirklich etwas in der Welt verändern!“

Wenn ich mich entscheiden müsste, was mehr süchtig macht, der Ausdauersport oder die Welt retten, dann würde ich sagen, die Welt retten. Sobald man einmal selbstverblüfft gedacht hatich kann ja wirklich was bewirken!“, möchte man damit so schnell nicht wieder aufhören.

Die Idee ist ja nicht neu, deswegen war sie dann auch schnell geboren: Mal einen Marathon laufen. Aber nicht zum Selbstzweck, sondern als Spendenlauf – und um Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Thema zu lenken.

Und welches Thema?

Zur gleichen Zeit habe ich die Amnesty-Gruppe in Aachen kennen gelernt, die sich mit Asylpolitik befasst und ziemlich viel auf die Beine stellte und stellt: Regelmäßige Film- und Diskussionsveranstaltungen, Infostände, Mahnwachen, Konzerte, Lobbyarbeit mit anderen internationalen Aktionen gemeinsam. Aber auch: Rechtliche Beratung für Flüchtlinge und Unterstützung für ankommende Menschen beim Einleben im fremden Land.

Flüchtlingsschutz ist ein Menschenrechtsthema, bei dem man etwas in seinem eigenen Land verbessern kann, nicht in irgendeinem fernen Entwicklungsstaat. Und die Aachener Amnesty-Gruppe dazu ist ein wirklich begeisterungsfähiger Haufen – das galt auch für die Marathonidee. Das heißt nicht, dass irgendjemand aus der Gruppe sich darum gerissen hätte, 42km laufend zurückzulegen. Aber für alles außer Mitlaufen musste ich nie lange nach Unterstützern suchen. Flyer drucken, Veranstaltungen organisieren, mit nach Madrid fahren zum Anfeuern? Immer jemand da.

Nun fehlten also noch Menschen zum Mitlaufen. Tja, ich würde sagen, in meinem erweiterten Bekanntenkreis dürfte in diesem Frühjahr kaum jemand von Mails, Flyern, Plakaten und abrupten Themenwechseln mitten im Gespräch hin zu Marathon und Menschenrechten verschont worden sein. Irgendwann Anfang des Sommers war es dann soweit: Ein Haufen motivierter Läufer (manche – ich zum Beispiel – auch eher Hobby-Jogger, die fanden, Marathon klingt cool) traf sich in der Bar „Zuhause“ in Aachen zum allerersten Mal. Ich, mit Kuchen bewaffnet zwecks besserer Überzeugungskraft, erklärte meine eher vage Idee – und wurde zum ersten Mal gründlich überrascht: Die Neu-AhA’ler sprühten vor Begeisterung, Motivation, Ideen, auf die ich niemals gekommen wäre, Lauferfahrung und Tatendrang. Das sollte noch häufiger passieren im kommenden Jahr.

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In der nächsten Zeithaben wir gemeinsam die Grundlage für das auf die Beine gestellt, was uns nun selbstverständlich vorkommt: Unser Logo. Unsere Website. Unsere fair gehandelten, amnesty-gelben UND läufertauglichen Shirts, die von da an zum Erkennungsmerkmal geworden sind. Unsere Flyer. Fotos für all das.

Irgendwann im Laufe des Sommers sind wir unseren ersten gemeinsamen Wettkampf gelaufen, 10km im brüllend heißen Dürwiß. Klingt nicht so, hat aber Spaß gemacht.

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Irgendwann dann haben wir unsere Ziele genauer definiert: Wir laufen Marathon (wahlweise auch einen halben oder ein Viertel) in Madrid. Wir haben ein Spendenziel: 5000€ für die Amnesty-Gruppe. Kam uns ziemlich großkotzig vor – aber hey, wir wollten schließlich zeigen, dass man die Welt verändern kann!

An dieser Stelle, weil die Bedenken oft aufkommen, zwei Erklärungen.

 

Erstens: Warum musstet ihr nach Madrid? Was hat das mit lokaler Flüchtlingspolitik zu tun? Warum lauft ihr nicht irgendwo um die Ecke – Köln zum Beispiel?

Das haben wir demokratisch abgestimmt, und Madrid hat gewonnen. Ziemlich knapp, wenn ich mich recht erinnere. Mit Flüchtlingspolitik hat das so viel und wenig zu tun wie Marathonlaufen oder über den Weihnachtsmarkt spazieren: Nichts, wenn man einfach nur läuft oder spaziert. Sehr viel, wenn man es nutzt, um Menschen anzuziehen und/oder auf sich und sein Thema aufmerksam zu machen.

Für uns war wichtig, ein großes persönliches Ziel neben dem Spendenziel zu haben. 5000€ sind klasse, aber abstrakt. Mit einem Marathon, und zwar in Madrid, sorgt man viel leichter für Begeisterung, bei sich und anderen. Dann interessiert man sich plötzlich auch für „sein“ Thema, die Flüchtlingspolitik. Und plötzlichsind die 5000€ gar nicht mehr so abstrakt.

Übrigens: Bezahlt haben wir unsere Reise nach Madrid selbstverständlich aus eigener Tasche. Es hat mich immer verblüfft, dass Leute überhaupt auf eine andere Idee kommen.

 

Zweitens: Ihr sammelt doch nur Spenden.

Zum Einen sammeln wir nicht nur Geld, sondern Aufmerksamkeit. Allein schon die zwanzig Leute, die mit in Madrid waren und ihr näheres Umfeld sind nun ziemlich gut informiert über die ganze Flüchtlingsproblematik. Dazukommen unzählige Menschen, die wir auf unserem Weg auf Wettkämpfen, bei Flyeraktionen oder beim Laufen getroffen und wenigstens kurz zum Nachdenken gebracht haben. Das ist aber schwierig messbar.

Zum Anderen braucht jede Organisation, die etwas erreichen will, Geld.

Wir kennen das ja – jedes Unternehmen, das Zigaretten produziert oder Hunde frisiert, braucht dafür Geld, und zwar mehr, als es für Tabak und Hundeshampoo ausgibt.

Wieso ist für uns ohne Frage okay, das Zigaretten und Hundefrisuren ihren Preis haben, aber beim Schutz von Menschenrechten hat das einen faden Beigeschmack? Vor allem, wenn man wie Politiker und Unternehmen kritisieren möchte, kommt noch erschwerend hinzu, dass Geld aus Politik und Wirtschaft einen unfrei macht. Alsobraucht man, so wie Amnesty, Spendengeld. Ohne geht nichts. Das macht die Organisation handlungsfähig, unabhängig und stark.

Darauf, dass Amnesty-Arbeit von Spenden lebt, ist also etwas, worauf man stolz sein kann. Und deswegen sammeln wir nicht nur Spenden. Wir sammeln Spenden, Ausrufezeichen!

 

Dass wir am Ende des Ganzen einen Marathon laufen, war uns allen mehr oder weniger klar. Was wir alles noch nebenbei auf dem Weg dahin auf die Beine gestellt haben, hat uns, glaube ich, alle überrascht:

Von nun an gab es regelmäßige Lauftreffs, die auch Anlaufstelle für alle waren, die uns interessant fanden. Das waren nicht wenige – der Laden, in dem wir unsere Shirts bedrucken lassen, fragt schon gar nicht mehr, was er draufdrucken soll, wenn jemand mit einem gelben Laufshirt kommt.

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Im Anschluss daran trafen wir uns zu Stammtischen. Klar, wir haben organisatorische Dinge besprochen und uns sind sowohl beim Laufen alsauch bei den Stammtischen massenhaft Ideen fürs Projekt gekommen – aber es ist auch eine Menge Bier geflossen und wir haben eine Menge Spaß gehabt, der nichts mit Asylpolitik zu tun hatte. Rückblickend halte ich das für einen unserer größten Erfolgsfaktoren. Es gab immer für jeden AhA’lerMöglichkeiten, politisch bei Amnesty, läuferisch bei AhA, irgendwo dazwischen beim Organisieren oder bei allem aktiv zu sein, aber die Gruppe lebt sowohl von Gelegenheitsläufern und Vollblutpolitikern als auch von Gelegenheitspolitikern und Vollblutläufern.

Natürlich gab es nicht nur Laufen und Stammtische. Wir haben Flyer verteilt und Informationen über Asylpolitik verbreitet, wo wir konnten – auf dem Weihnachtsmarkt, in der Uni, bei Wettkämpfen. Völlig unerwartet, aber deswegen nicht weniger hilfreich für uns, war das Thema plötzlich an der politischen Tagesordnung. Viele Menschen waren interessiert an Infos und unzufrieden damit, wie ihr Land mit Flüchtlingen umgeht.
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Wettkämpfe – davon gab es jede Menge. Ich dachte ja, ein Marathon am Ende ist Wettkampf genug, da hatte ich aber die Rechnung ohne die ambitionierten Läufer unter uns gemacht. Sie haben uns alle mitgerissen, und so wurde „Aachen hat Ausdauer“ ein häufig gesehener Teamname auf Wettkämpfen im näheren Umfeld.

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Und sonst?

Schonmal die Frage „Hat Aachen Ausdauer?“ auf einem Aachener Bürgersteig gelesen? Es gab eine Nacht- und Nebelaktion, in der wir uns mit Straßenmalkreide auf Gehwegen Bekanntheit verschafft haben.

UnserSpendenbarometer ordentlich erhöht – man kann ja nicht immer warten, bis andere spenden – haben ein Flohmarkt und ein Thai-Box-Turnier.

Für den Flohmarkt haben wir alle kräftig entrümpelt und dann bei eisigen Temperaturen kistenweise Spielzeug, Bücher, Elektrogeräte und Kleidung verkauft. Ihr ahnt ja nicht, wie schnell einem scheinbare unbrauchbare Dinge wie Dutzende Kinderkassetten aus den Händen gerissen werden!

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Das Boxturnier war, auch dank des Rieseneinsatzes des Tai Kien Dojo Aachen und der Asylgruppe, ein unglaublicher Erfolg. Die Halle ist aus den Nähten geplatzt. Kiloweise Selbstgebackenes hat hungrige Boxer wieder aufgepäppelt. Und wir waren hinterher alle glücklich, dass man beim Laufen so selten Tritte in die Leber bekommt.

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Thai-Boxen? Was hat das mit Asylpolitik zu tun? Tja, ich verweise auf oben, so viel wie Marathonlaufen und über den Weihnachtsmarkt spazieren…

Dann ging es schließlich auf den Marathon zu. Wir haben Freunde, Bekannte und Interessierte abwechselnd mit Neuigkeiten zur Asylpolitik, Fotos mit vielen gelb gekleideten Menschen und teils euphorischen, teils wehleidigen Berichten über steigende Trainingskilometer in unbequemem Aachener Winterwetter beglückt. In langen 30km-Trainingsläufen kommt man allerdings nicht nur rum (Maastricht, Kelmis, Geilenkirchen, Richterich, Kornelimünster oder der gute alte Lousberg), sondern kann auch einige Pläne schmieden und diskutieren.

Der Marathon und Madrid war für uns alle ein absoluter Höhepunkt. Mit zeitweise zwanzig Leuten machten wir einen großen Teil unseres Hostels aus. Wir hatten auch einige eigens angereiste AnfeuererInnen und FotografInnen dabei. Am Abend vorm Marathon gab’s magenschonende Kartoffeln und Möhren, nervöse Blicke auf das nicht ganz flache Höhenprofil, und hier und da ein Beruhigungsbierchen. Der Marathon selbst war ein einziges Fest, die Höhenmeter fielen gar nicht auf. Die Tage danach gab es vor allem gelöste, fröhliche, stolze und breit grinsende Menschen – na ja, breit grinsend zumindest, wenn sie gerade nicht mit den muskelkatergeplagten Beinen Treppen bewältigen mussten.

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Ja, und dann kam wieder ein Ankommen im Studienalltag. Langsam dämmerten uns unsere unglaublichen Erfolge. Nicht nur, dass wir wirklich ausnahmslos alle beim Laufen im Ziel angekommen waren. Da war ja noch das Spendenziel – großkotzig ohne Ende. Und, bis auf ein paar Resteuros, geknackt. Ich glaube, wir haben uns alle ein wenig die Augen gerieben.

Genau das hat uns allen neben dem Ausdauersport, der uns nicht mehr loslässt, das beschert, was ich am Anfang gehofft habe in den grauen Studienalltag bringen zu können: Wir haben einmal selbst gedacht „Mensch, wir können ja was bewegen!“ und können davon nicht mehr genug bekommen.

Das ist der Grund, warum für so viele von uns klar war – AhA darf kein einmaliges Projekt bleiben. Etwas, das so viel Spaß macht, so viel Sinn stiftet, so viele engagierte Menschen zusammenbringt und so erfolgreich asylpolitische Arbeit nach vorn bringt, muss weiterleben.

Wir freuen uns auf alle Menschen, die diese Einstellung teilen, Lust haben, dabei zu sein und Ideen einbringen, auf die wir allein niemals gekommen wären.

 

Unser nächster „Madrid-Marathon“ wird eine einwöchige Radtour von Basel den Rhein entlang bis nach Aachen.